Zur Lage an der polnisch-belarussischen Grenze

Die Zusammenarbeit zwischen Weißrussland und Russland entwickelt sich im militärischen Bereich schneller als im politischen. Die militärische Zusammenarbeit beider Staaten ist in eine neue Phase getreten. Eine Besonderheit dieser Phase ist die praktische Umsetzung einer ganzen Reihe von schon lange geplanten Aktivitäten. Selbst ein unerfahrener Beobachter bemerkt, dass sich in der letzten Zeit der Prozess der Lieferung moderner Waffen und Ausrüstung aus Russland nach Weißrussland intensiviert hat.

So ist nach dem im November des vorletzten Jahres zwischen dem belarussischen Verteidigungsministerium und dem russischen Konzern „Irkut“ unterzeichneten Vertrag die erste Charge von vier Mehrzweck-Kampfflugzeugen vom Typ Su-30SM in Weißrussland eingetroffen. Die Auslieferung der zweiten Charge ist für Oktober 2022 geplant. Ende September 2021 traf die erste Lieferung von Schützenpanzern des Typs BTR-82A des Arsamassker-Maschinenbaukombiates in Minsk ein. Auf diesen Schützenpanzern waren Nachrichtenmittel des „Agat-Systems“ und Zielgeräte des Modells „Peleng“ aus belarussischer Produktion installiert. Auch modernisierte 2S3M „Akazia“ Panzerhaubitzen wurden belarussischen Einheiten übergeben. Nach Angaben des belarussischen Verteidigungsministeriums wurden während der Modernisierungsarbeiten der 2S3M alle Komponenten und Baugruppen komplett ersetzt. Auch die Haubitzen sind mit modernen Kommunikationsmitteln, und chemischen Aufklärungs- und Nachtsichtgeräten belarussischer Produktion ausgestattet.

Darüber hinaus wurde der Beschluss beider Verteidigungsministerien vom 5. März 2021 zur Schaffung von Zentren für die gemeinsame Kampfausbildung praktisch umgesetzt. So kamen im August 2021 Einheiten der Flugabwehrraketenkräfte der russischen Armee im belarussischen Grodno an, um ein gemeinsames Ausbildungszentrum für die Luftstreitkräfte und Luftverteidigungskräfte von Weißrussland und Russland zu bilden. Su-30SM-Flugzeuge der russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte landeten auf dem Flugplatz in Baranowitschi.

Alle diese Ereignisse bestätigen, dass die militärisch-politischen Führungsstrukturen der Russischen Föderation und Weißrusslands von deklarativen Erklärungen zu praktischen Maßnahmen übergegangen sind. Charakteristisch ist, dass die Umsetzung dieser Maßnahmen ungeachtet der Probleme erfolgte, die Weißrussland  auf politischem Gebiet hat.

An den westlichen und nordwestlichen Grenzen Weißrusslands wird die Flüchtlingssituation immer angespannter. Im Zuge der Konfrontation zwischen Polen sowie den baltischen Staaten einerseits und Weißrussland andererseits kommt es im Grenzgebiet auch zu einer Verstärkung der Streitkräfte. Zum Beispiel sind derzeit allein auf polnischer Seite zur Stärkung des Grenzdienstes fast 8000 Soldaten der polnischen Armee im Einsatz.

Die Migrationskrise begann nach der Weigerung der belarussischen Seite, sich an dem Rückübernahmeabkommen der EU im Rahmen der sogenannten Östlichen Partnerschaft zu beteiligen. Das war eine Reaktion auf die Verabschiedung des vierten Pakets von Sanktionen gegen Belarus durch die Europäische Union. Das  fünfte Sanktionspaket wird derzeit von EU-Gremien vorbereitet.

Russland wiederum ist gezwungen, der Grenzfrage Aufmerksamkeit zu schenken. Der Abzug der amerikanischen Truppen und ihrer NATO-Verbündeten aus Afghanistan hat nicht nur eine Flüchtlingswelle provoziert, sondern auch eine echte Bedrohung durch die bewaffneten Formationen der Taliban in unmittelbarer Nähe Russlands bewirkt. Schwachstelle sind die Grenzen der zentralasiatischen Republiken, hauptsächlich die tadschikisch-afghanische Grenze.

Auch der permanente „Gaskrieg“ wegen der Ostseepipeline, der Abbruch der Beziehungen zur NATO vor dem Hintergrund des eskalierenden Interessenkonflikts zwischen den USA und China im asiatisch-pazifischen Raum, der auch Russland betrifft, sind keine stabilisierenden Faktoren für die Russische Föderation.

Vor dem Hintergrund einer für Moskau und Minsk ungünstigen Entwicklung der militärpolitischen Lage ist es wichtig, dass Russland und Belarus ihre Verteidigungsanstrengungen koordinieren.

Westliche Analysten, die aktiv die These von der Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts zwischen Russland und den USA vertreten, benennen in ihren Prognosen genau die Grenzen der Republik Weißrussland zu Polen und den baltischen Ländern als Sprungbrett für die Entstehung eines Konfliktes. Die Voraussetzungen sind ihrer Meinung nach die aktive Militarisierung dieser Region, die Präsenz von Kampfeinheiten nahe der Staatsgrenze der Republik Belarus und mögliche bewaffnete Zwischenfälle aufgrund von Provokationen. Inzwischen propagieren amerikanische Analysten des Cato-Instituts (Washington) ihre Thesen über einen möglichen Krieg mit Russland, ihre polnischen Nato-Verbündeten liefern dafür reichlich Material und militarisieren aktiv die weißrussisch-polnische Grenze.

In den Woiwodschaften Podlachien, Lublin und Masowien findet derzeit die Übung Shield-2021 der Territorialverteidigungstruppen statt, die bis zum 31. Dezember 2021 dauern wird. Es ist geplant, die Aufklärung des Grenzgebietes, die Verteidigung der Grenze und die Bekämpfung von Sabotage- und Aufklärungsgruppen des Feindes zu trainieren. Gleichzeitig mit dieser Übung werden verdeckt die Einheiten der 12. Mechanisierten Brigade und der 11. Panzerkavallerie-Division aus Szczecin und  Zhagan in den Osten des Landes verlegt, um angeblich Ausbildung für Kampfeinsätze durchzuführen. So wurde im Gebiet des polnischen Dorfes Veiki (6 km vor der Grenze zu Weißrussland, in Richtung Bobrovniki-Volkovysk) der Bau eines Feldlagers für die 12. Mechanisierte Brigade mit Unterstützungs- und Verstärkungseinheiten begonnen. Auf dem Lagergelände sind bereits mehr als 150 Wohnzelte, Stabsquartiere, Feldküchen, Stromgeneratoren und Abstellplätze für militärisches Gerät eingerichtet. Es wird erwartet, dass Wohncontainer aufgestellt werden. Die 10. Panzerbrigade der 11. Panzerkavallerie-Division wird demnächst im Raum Biala Podlaska stationiert. Heute ist dort bereits ein Panzerbataillon mit 700 Soldaten und 58 Leopard-2A4-Panzern eingetroffen. Die polnische Militärführung versteckt sich hinter einer „Migrationspsychose“ und erhöhte in zwei Wochen die Präsenz ihrer Soldaten in der Nähe der belarussischen Grenze von 3000 auf 7500 Mann und plant, sie in Zukunft auf 10000 Soldaten zu erhöhen. Und diese gesamte Gruppierung wird von Leopard-Panzern und anderer schwerer militärischer Ausrüstung unterstützt. Will man damit die Grenze gegen den Zustrom von Migranten sichern? Es wird deutlich, dass auf polnischem Territorium an der Grenze zu Weißrussland hinsichtlich Umfang und Fähigkeiten bereits eine schlagkräftige Formation entstanden ist. Der Einsatz gegen Weißrussland könnte wie folgt stattfinden: In Richtung Grodno operieren Verbände der 16. Division aus Elblag, die 12. Division stößt in Richtung Wolkowysk und die 11. Division in Richtung Brest vor. Und die zweite Staffel soll die 18. mechanisierte Division sein.

Es bleibt den amerikanischen Freunden Polens oder seinen Mitstreitern in der NATO überlassen, ihre Truppen aus West- und Mitteleuropa zu verlegen, um die entstandene Lücke zu füllen. Sie könnten den Truppentransport auf traditionelle Weise verschleiern – unter dem Deckmantel von Übungen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass vom 18. bis 28. Oktober in Europa parallel zwei Übungen stattfinden – mit den NATO-Joint Armed Forces die Übung „Rugged Jupiter-2021“ und mit den taktischen NATO-Nuklearstreitkräften eine Übung zum Einsatz von Nuklearwaffen durch US-Verbündete in Europa.

Man kann nicht umhin, sich an den Vorfall vom 8. Oktober zu erinnern, als ein Sprecher des polnischen Grenzdienstes den belarussischen Grenzsoldaten Waffengebrauch vorwarf (was eine Falschmeldung war). Dann beeilte sich Warschau, die NATO-Führung an den fünften Artikel des Bündnisvertrages zu erinnern. Mit anderen Worten: Es gibt bereits Versuche, einen bewaffneten Konflikt zu provozieren, in dem Weißrussland als Vorwand benutzt wird.

Daher reagieren Moskau und Minsk mit eigenen Szenarios der Entwicklung der Lage und der Ausarbeitung einer Reihe von Maßnahmen, die im Interesse der Gewährleistung der regionalen Sicherheit ergriffen werden. Dazu gehören zur Stärkung  des westlichen Außenpostens beider Staaten die gemeinsamen Truppengruppierung in Weißrussland

(Quelle: Ostryna, S., Militärischer Industriekurier WPK, 27.10.2021, redaktionell bearbeitete Übersetzung)

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