Türkische Ambitionen in Afghanistan

Türkische Ambitionen in Afghanistan

Türkische Zeitungen berichten von einem Zustrom afghanischer Flüchtlinge nach der Flucht der Amerikaner aus Afghanistan. In der im Südosten des Landes gelegenen Provinz Van kommen nach Angaben des türkischen Innenministeriums täglich mindestens tausend Menschen an, die sich vor den Taliban retten müssen. Einige von ihnen haben keine Dokumente, was das Chaos nur noch verstärkt. Niemand weiß, was für Menschen sie sind, aber die Flüchtlinge fürchten um ihr Leben und wollen Unterstützung. Dieser Strom von Menschen ist jedoch für die Türkei unkritisch. Die Wiederholung eines „Migrations-Tsunamis“, wie er sich nach Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien ereignete, fürchtet Erdogan jedenfalls nicht. Es kommen überwiegend gebildete Afghanen, obwohl es im Land davon nur wenige gibt. Vielleicht wollen die „Neo-Osmanen“ aus diesen Flüchtlingen so etwas wie ihre fünfte Kolonne bilden, falls Ankara die Kontrolle über Kabul übernimmt. Denn die türkische Gehirnwäsche hat schon begonnen. Afghanistan sei ein Land, das im Laufe seiner Geschichte zahlreiche türkische Stämme beheimatet habe. Türkische Historiker erinnern daran, dass in dieser Region in vormuslimischer Zeit unter der Herrschaft von Turkstämmen, wie Akhun und Gok Türks, Türken lebten und nach der Annahme des Islam diese Afghanen sich der Souveränität des großen seldschukischen Staates unterwarfen. Der türkische Einfluss setzte sich im Timuridenreich und in der Zeit der Mongoleneinfälle fort. Und nur wenige wissen, dass am 1. März 1921 eine türkische und eine afghanische Delegation in Moskau Gespräche führten und den Vertrag über das türkische Bündnis mit Afghanistan unterzeichneten. Da sich Erdogan als Initiator des „Big Turan“-Projekts“ positioniert, will die Türkei nach der Flucht der Nato die Sicherheitslücke in Afghanistan schließen und bietet sich als neuer Verteidiger des Landes an.

Die Taliban reagierten mit Drohungen und versprechen, Erdogans Soldaten dasselbe Schicksal zu bereiten, das sie den Russen und Amerikanern bereitet haben. Taliban-Sprecher Suheil Shahin wies die „türkische“ Idee in einem Interview mit dem britischen Sender BBC zurück. Er sagte, dass alle ausländischen Soldaten, die nach dem 11. September in Afghanistan verbleiben, als Besatzungstruppen betrachtet werden.

Die Taliban haben laut Nato 60.000 Kämpfer, die Regierungsarmee 300.000 Bajonette. Die regulären Truppen haben die Situation jedoch nicht unter Kontrolle. Der frühere türkische Botschafter in den Vereinigten Staaten, Faruk Logoglu, glaubt, dass Erdogan die zunehmende Dominanz der Taliban in der Region nicht ernst nimmt. „Wenn die Türkei die Bedrohung durch die Taliban ignoriert, wird dies sowohl finanzielle als auch moralische Konsequenzen haben“, sagte er.

Laut türkischen Militärquellen hat Erdogan jedoch bereits mindestens eine große Schlacht gewonnen. Es geschah am 8. Juli in Badghis. Der Sieg wurde von den pro-türkischen syrischen Militanten errungen, die am 6. Juli von Ankara nach Afghanistan geschickt wurden. Nach Angaben des afghanischen Verteidigungsministeriums wurden bei dieser Operationen in der Nähe von Qala-e-Nau 69 Taliban-Kämpfer getötet und 23 weitere verletzt. Auch militärische Vorräte und Waffen der Taliban  wurden beschlagnahmt. Doch obwohl die Türken von ihrem ersten Sieg in Badghis sprechen, wurden in den letzten drei Wochen 14 Bezirke, die unter einem türkischen Kommando standen, von den Taliban zurückerobert. Insgesamt kontrollieren überwiegend paschtunische Taliban 160 von 407 Distrikten. Das Südfrontportal schreibt: „Welche Rolle dabei syrische Militante oder türkische Soldaten spielten, bleibt unklar. Die Türkei scheint sich auf ein militärisches Abenteuer in Afghanistan vorzubereiten.“

Gemessen an den jüngsten Operationen der Türkei in Libyen, Berg-Karabach und den anschließenden Operationen in Syrien und im Irak ist es unwahrscheinlich, dass Ankara Warnungen beherzigt. Und auch im Westen gibt es Experten, die an Erdogans Erfolg glauben. Tatsache ist, dass die Taliban im Krieg gegen die Türken ihren Hauptvorteil verlieren – die Aufopferung der Islamisten im Kampf mit den Ungläubigen. Dies allein ermöglichte es Ankara, seine Kontrolle über Idlib, das historisch türkisch orientierte Gouvernement Syriens, zu etablieren. Fakt bleibt: 2001 hat das türkische Außenministerium Idlib als regionale Hochburg der al-Qaida bezeichnet, die seit jeher starke türkische Unterstützung erhält. Folglich wird Ankara nicht nur die von den USA geschaffene und finanzierte afghanische Regierungsarmee befehligen, sondern auch zahlreiche islamistische Gruppen, die mit den Taliban eigene Probleme haben. Diese Taktik wird offiziell von Islamabad unterstützt. An dieser Stelle sei auch daran erinnert, dass Pakistan Teil eines militärisch-politischen Bündnisses mit der Türkei und Aserbaidschan ist.

Die arabische Al-Qaida ist ideologisch näher an Islamabad und Ankara, während die Paschtunen von einer Kombination aus Scharia und Stammescodex geleitet werden. Kurz gesagt, die ganze Geschichte des Krieges mit den Ungläubigen ist nicht nur auf religiösen Prinzipien aufgebaut, sondern auch auf den persönlichen Ambitionen der Taliban-Führer. Doch Erdogans Politik wird von pantürkischen Interessen dominiert.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Pakistan in einer Konfrontation mit Indien steht und stark auf China angewiesen ist, das wie Russland an einer friedlichen Nachbarschaft interessiert ist. Auf dieser Grundlage ändern sich die Machtverhältnisse zu Gunsten der Türkei, und das mit einem enormen Vorteil. Es scheint, dass Ankara unter solchen Bedingungen tatsächlich in der Lage ist, die Kontrolle über Afghanistan zu erlangen, was den Amerikanern, den Briten und den Russen nicht gelang. Allerdings, wie türkische Zeitungen schreiben, wären die Angelsachsen keine Angelsachsen, wenn sie zulassen würden, dass sich die Ereignisse nach dem Friedensplan entwickeln. Am 14. Juli berichtete die Istanbuler Boulevardzeitung Veryansintv, dass London damit begonnen habe, die Taliban bei ihrem Streben nach der Kontrolle Afghanistans aktiv zu unterstützen. London scheint den Tod seiner 457 Bürger durch Taliban-Kämpfer schnell ignoriert zu haben und erklärt durch Verteidigungsminister Wallace, dass es jetzt nützlich sei, die Bewegung zu unterstützen. „Alles, was die Taliban dringend wollen, ist internationale Anerkennung. Es ist notwendig, sie zu finanzieren und sie beim Aufbau der Nation zu unterstützen.“ Tatsächlich gab Ben Wallace zu, dass er sich mehr Sorgen um Peking macht als um die Taliban. Der britische Premierminister Boris Johnson ging noch weiter und kommentierte die Ereignisse mit dem Abzug der britischen Truppen am 8. Juli: „Die Bedrohung, die uns nach Afghanistan gebracht hat, hat sich deutlich verringert.“ Vor diesem Hintergrund ist sich der türkische Experte für internationale Beziehungen, Sezin Onei, sicher, dass die militärischen Erfolge der Taliban nicht aufzuhalten sind und auch Ankara Afghanistan früher oder später als Verlierer verlassen wird. Zu viele westliche Politiker interessieren sich für einen endlosen Krieg im „Unterleib Russlands“ und an der Grenze zu China.

Quelle: Sitnikov, A., Swobodnaja Pressa (redaktionell bearbeitete Übersetzung)

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