Russische strategische Marinemanöver

In wenigen Wochen werden die Schiffsliegeplätze in den Marinestützpunkten der russischen Nord-, Pazifik-, Schwarzmeer- und Ostseeflotte leer sein. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums werden Ende Januar und im Februar fast alle kampfbereiten Schiffe, U-Boote, Boote und Hilfsschiffe gleichzeitig auslaufen, um Übungsregionen im Mittelmeer, im Nordmeer, im Ochotskischen Meer, in den nordöstlichen Teilen des Atlantiks und des Pazifiks zu erreichen.

Fast gleichzeitig (am 10. Februar 2022) beginnt auf dem Territorium von Belarus, in der Nähe der Staatsgrenzen zu Polen und der Ukraine, die aktive Phase der sehr großen russisch-belarussischen Übung „Vereinte Entschlossenheit-2022“. Die territoriale Reichweite dieses Manöver war noch nie größer. Vom Grenzfluss Bug im Westen bis zur Pazifikküste im Osten. Denn, wie General Fomin, stellvertretender Verteidigungsminister Russlands, erklärte, muss sich Russland „nicht nur auf Aktionen innerhalb des eigenen Verantwortungsbereiches vorbereiten, sondern auch vorbereitet sein für die Lösung plötzlich auftretender lokaler Krisensituationen in allen bedrohten Richtungen.“ General Fomin führte weiter aus: „Es kann eine Situation eintreten, in der die Streitkräfte der regionalen Gruppierung nicht ausreichen werden und dann für den Schutz das gesamte militärische Potenzial beider Länder eingesetzt werden muss. Um die Bedrohungen für Belarus abzuwehren, muss daher vor dem 10. Februar sogar ein Teil der russischen Streitkräfte und militärischen Kommando- und Kontrollorgane des östlichen Militärbezirks per Flugzeug und Eisenbahn nach Weißrussland verlegt werden.“

Das heißt, der Kreml hat einen Hinweis gegeben – er könnte nicht transparenter sein. Moskau hält einen direkten militärischen Zusammenstoß mit den Streitkräften des Nato-Blocks in westlicher strategischer Richtung für immer realer. Die Hauptereignisse des Szenarios drohen, sich in Polen, auf belarussischem und ukrainischem Boden abzuspielen. Und es wäre sehr seltsam, wenn die Marine der Russischen Föderation nicht näher an Westeuropa herangeführt würde, um zusammen mit den russischen Bodentruppen, Fallschirmjägern und der Luftwaffe die angeblich vernichtende Kraft der Nordatlantischen Allianz und ihrer Verbündeten abzuwehren – auf Salvendistanz gegen Ziele in Westeuropa mit hochpräzisen seegestützten Kalibr-Raketen.

Wie das Verteidigungsministerium mitteilte, handelt es sich um 140 Schiffe und Hilfsschiffe. Und wie viele davon hat Russland insgesamt? Wenn wir nach Angaben aus offiziellen Quellen nur über große Kampfeinheiten der Nord-, Ostsee-, Schwarzmeer-, Pazifikflotte und der Kaspischen Flottille sprechen, gibt es heute davon insgesamt 112. Genauer: 10 Atom-U-Boote mit ballistischen Raketen; 10 Atom-U-Boote mit Marschflugkörpern, 14 Mehrzweck-Atom-U-Boote, 23 dieselelektrische U-Boote, einen Flugzeugträger, fünf Raketenkreuzer, elf Zerstörer und große U-Boot-Abwehrschiffe, sieben Fregatten, zehn Korvetten und 21 große Landungsboote. Nicht alle davon sind zurzeit einsatzbereit. Einige von ihnen sind schon ziemlich lange in Reparatur, wie zum Beispiel der einzige Flugzeugträger „Admiral Kusnezow“. Einige werden derzeit modernisiert, wie die großen U-Boot-Abwehrschiffe „Admiral Chabanenko“ und „Admiral Winogradow“.

Außerdem gibt es in der russischen Flotte noch eine beträchtliche Anzahl kleiner Raketen- und kleiner U-Boot-Abwehrschiffe, die nicht in der oben angeführten Aufzählung enthalten sind. Aber auch sie werden definitiv Ende Januar und Anfang Februar, bis zum Beginn von „Vereinte Entschlossenheit -2022“, überall in See stechen. Solche Maßnahmen werden nur dann beschlossen, wenn ein Krieg buchstäblich vor der Tür steht.

So sieht man es heute wohl in Moskau. In wenigen Wochen, mit dem Beginn der „Vereinten Entschlossenheit-2022“, wird im Mittelmeer, sozusagen im südlichen „Unterbauch“ der NATO, eine russische Seemacht, die seit den sowjetischen Jahren beispiellos ist, konzentriert. Bis Anfang Januar sah das russische Geschwader, das im syrischen Hafen Tartus stationiert ist, ganz normal aus. Und es umfasst etwas mehr als ein Dutzend Schiffe und U-Boote. Darunter drei dieselelektrische U-Boote („Rostow am Don“, „Krasnodar“, „Novorossijsk“), eine Fregatte („Admiral Grigorovich“), ein kleines Raketenschiff („Vyshny Volochyok“), ein Patrouillenschiff („Dmitry Rogachev“), ein Minensuchboot („Vizeadmiral Zakharyin“), zwei große Landungsschiffe („Caesar Kunikov“ und „Orsk“), ein Rettungsschiff („EPRON“) und ein kleiner Seetanker („Vizeadmiral Paromov“). Doch bald wird es in Tartus deutlich voller werden. Denn heute wurden zwei große Abteilungen russischer Kriegsschiffe aus dem Atlantik und der Ostsee ins östliche Mittelmeer geschickt. Genauer gesagt: über die Straße von Gibraltar. Darunter sechs große Landungsschiffe. Drei aus der Ostsee („Koroljow“, „Minsk“ und „Kaliningrad“) und drei aus dem Nordmeer („Georg der Sieger“, „Pjotr Morgunow“ und „Olenegorsker Bergmann“). Laut Augenzeugen sind diese extrem beladen. Was geladen wurde, kann man nur raten. Aber potenziell können in jedem Zwischendeck eines dieser Schiffe bis zu einem Dutzend mittlere Panzer und bis zu einem Bataillon Marinesoldaten untergebracht werden. Man dürfte nicht überrascht sein, wenn sich herausstellt, dass Tartus nur eine Zwischenstation für diese Ostsee- und Nordsee-Schiffe ist. Denn danach werden sich die sechs großen Landungsschiffe dem Schwarzen Meer zuwenden, in Richtung der Krim, wo die für Russland immer feindseliger werdende Ukraine in unmittelbarer Nähe liegt.

Die amerikanische Ausgabe von „The Drive“ schlägt schon jetzt Alarm, dass sich das amphibische Potenzial der russischen Schwarzmeerflotte mindestens verdoppeln wird. Oder befinden sich tatsächlich Raketenwerfer unter den Decks der Schiffe, die nach Tartus unterwegs sind? Aber spekulieren wir nicht und warten es einfach ab.

Der Raketenkreuzer „Warjag“ der russischen Pazifikflotte, das große U-Boot-Abwehrschiff „Admiral Tributs“ und der große Seetanker „Boris Butoma“ sind im Begriff, über das Rote Meer und den Suezkanal ins östliche Mittelmeer zu fahren. Vom 18. bis 22. Januar hatten diese Schiffe aus Wladiwostok noch Zeit, im Golf von Oman an einer gemeinsamen Übungen mit China und dem Iran teilzunehmen. Aber man hat den Eindruck, dass der Golf von Oman nicht der Endpunkt ihres langen Weges ist. Wichtiger ist das Mittelmeer und danach vielleicht Sewastopol. Von wo aus diese „Fernostler“ die NATO in westlicher strategischer Richtung bedrohen können.

Für die russische Marine ist es fast wie bei der Übung „Ozean-70“ während der Sowjetzeit, im April-Mai 1970. Damals entfaltete die sowjetische Marine ihre Wirkung gleichzeitig in den Weiten des Pazifischen, Indischen, Arktischen und Atlantischen Ozeans. Laut Bruce Watson, außerordentlicher Professor für Sowjetologie am Joint Military Intelligence College in Washington, wurde „Ozean-70“ zum Test aller weiteren Marineentwicklungen der Sowjetunion. Dieses Manöver sollte, laut Watson, die Umsetzung einer globalen strategischen Marineoperation mit Luft-, Überwasser- und Unterwasserkomponenten sowie mit hochpräzisen Aufklärungsdaten kombinieren.

Natürlich hinkt der Vergleich mit dem, was 1970 von sowjetischen Seeleuten so überzeugend demonstriert wurde. Die Rohre der russischen Marine sind jetzt ersetzt durch Raketen und Marschflugkörper.

(Quelle: Ischenko, S., Swobodnaja Pressa, 23.01.21, redaktionell bearbeitete Übersetzung)

von Redaktion (Kommentare: 0)

Zurück

Einen Kommentar schreiben