Russisch-indische Zusammenarbeit

Der aktuelle Besuch aus dem Kreml in Indien war mehr als repräsentativ. Zunächst flogen die „Schwergewichte“ – der russische Verteidigungs- und der Außenminister – nach Neu-Delhi. Sergej Schoigu und Sergej Lawrow nahmen an einem bilateralen Treffen der zwischenstaatlichen Kommission für militärisch-technische Zusammen-arbeit teil, bei dem eine Reihe von Vereinbarungen unterzeichnet wurde. Und dann flog Putin nach Neu-Delhi. Der Besuch des russischen Präsidenten in Indien ist seine zweite Auslandsreise im Jahr 2021, davor flog er im Sommer zu einem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden nach Genf. Dieser Umstand unterstreicht die Bedeutung seines persönlichen Treffens mit dem indischen Premierminister Narendra Modi.

Die Ergebnisse des Treffens wurden in den Medien als sensationell bezeichnet. Russland und Indien haben mehr als ein Dutzend wichtige Abkommen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Militär, Energie, Handel und Gesundheitswesen abgeschlossen. Dennoch war das Hauptziel von Putins persönlichem Besuch in Indien die Förderung des weiteren Exports sowohl von russischen Waffen als auch der Lizenzen zu ihrer Produktion. Es ist kein Zufall, dass der Tag seiner Ankunft in Neu-Delhi mit der ersten Lieferung des russischen Flugabwehr-Raketensystems S-400 „Triumph“ an die indische Armee zusammenfiel (ein Vertrag über die Lieferung von fünf Komplexen im Wert von mehr als fünf Milliarden US-Dollar war 2018 unterzeichnet worden.

Generell dominierte das „Waffenthema“ auch bei den Gesprächen auf der Ebene der Verteidigungs- und der Außenminister. Shoigu verkaufte die Lizenz für die Produktion von 600.000 russischen Sturmgewehren AK-203. Russland und Indien realisieren heute schon einige gemeinsame Projekte in Lizenz, wie die Produktion von Su-30-Jägern und T-90-Panzern, oder die gemeinsame Entwicklung eines Jägers der fünften Generation und auch die Arbeit an dem indischen Überschall-Seezielflugkörper „BrahMos“. Bei dieser russisch-indischen militärisch-technischen Zusammenarbeit läuft zurzeit alles sehr gut.

Aber warum flog Putin gerade jetzt nach Indien? Es ist nicht wegen der Lizenz für die neue  „Kalaschnikow“. Shoigu hat das Geschäft auch ohne ihn mit Erfolg realisiert. Die Person des russischen Präsidenten wurde für andere Zwecke benötigt – um Narendra Modi zu überzeugen, Waffen nicht bei ausländischen Konkurrenten zu  kaufen, sondern weiterhin russische Waffen zu importieren. Viele westliche Länder versuchen Russlands Waffenexporte nach Indien zurückzudrängen. Zum Beispiel die Franzosen mit ihren „Rafale“-Flugzeugen, und die USA drohen Indien jedes Mal mit Sanktionen, wenn die Inder etwas Militärisches mit dem Stigma „Made in Russia“ begutachten und kaufen wollen.

Sergej Lawrow sprach kürzlich darüber und wies auf Versuche der USA hin, Moskaus Zusammenarbeit bei der Lieferung von S-400 an Indien zu untergraben. Ein weiteres Beispiel für diesen „Wettbewerb“ ist, dass die indische Luftwaffe derzeit 200 russische Su-30MKI-Jäger in Lizenz baut, für die sich der Vertrag auf mehr als 12 Milliarden US-Dollar belief. Zur gleichen Zeit beschloss Indien, „Rafale“-Jäger (der vierten Generation) aus Frankreich zu kaufen – 36 Flugzeuge im Wert von 8 Mrd. US-Dollar. Jede Maschine kostet 812 Millionen Dollar. Die russischen Jagdflugzeuge der fünften Generation SU-57 kosten nur 80-100 Millionen US-Dollar pro Stück. Das heißt, die Inder hätten für das gleiche Geld nicht 36 bereits veraltete „Rafales“ kaufen können, sondern etwa 100 moderne russische Flugzeuge der neuesten Generation. Neu-Delhi zögert oft, manchmal wegen des Preises, manchmal wegen des Drucks der westlichen Länder oder wegen unterschiedlicher Meinungen in der eigenen Armee. Indien steht in Bezug auf die Militärausgaben weltweit an dritter Stelle. Im Jahr 2020 waren es 72,9 Milliarden US-Dollar. Russland nimmt den vierten Platz mit 61,7 Milliarden US-Dollar ein. Die Daten über Militärausgaben werden jährlich vom SIPRI (Stockholm Peace Research Institute) veröffentlicht. Diese Angaben zeigen, dass Indien von 2016 bis 2020 im Vergleich zum vorherigen Fünfjahreszeitraum 33 Prozent weniger Waffen und militärische Ausrüstung im Ausland gekauft hat. Das erklärt sich dadurch, dass Indien eine Wende durchläuft. Die indische Rüstungsindustrie ist „reifer“ geworden. Neu-Delhi hat ein „Made in India“-Programm gestartet, bei dem selbst hergestellte militärische Ausrüstung und Waffen für den Bedarf der Streitkräfte gekauft werden.

Russland ist bereit, bestimmte Technologien zur Herstellung von Waffen an Indien zu verkaufen. Indien selbst produziert bereits russische Panzer und Flugzeuge, jetzt wurde auch das Sturmgewehr AK-203 in diese Waffenliste aufgenommen. Es ist wahrscheinlich, dass „Rosoboronexport“, nach Erfüllung des Vertrages über die Lieferung der S-400 auch eine Option zur Lizenzproduktion dieses Luftverteidigungssystems an Indien übergeben wird. Der Handel mit Lizenzen ist für Russland zwar nicht so profitabel wie mit militärischen Fertigprodukten und es sickern Spitzentechnologien der Waffenproduktion ins Ausland ab. Aber die finanziellen Verluste für Russland sind trotzdem nicht so groß, weil viele Komponenten und Baugruppen für die Lizenzproduktion auch weiterhin aus Russland geliefert werden. Bei den Lizenzen für die Produktion der russischen Waffen, die der indischen Verteidigungsindustrie verkauft wurden, handelt es sich um bereits bewährte Systeme.

Hier gibt es eine politische Nuance – der Waffenhandel setzt auch eine Art alliierter Beziehungen voraus. Mehr als 70 Prozent der Bewaffnung der indischen Armee, Panzer, motorisierte Artillerie, Mehrfachraketenwerfer, Jagdflugzeuge, Bomber, Kampfflugzeuge, Frühwarnsysteme, Radarkontrollflugzeuge, Hubschrauber, Fregatten, Atom- und Diesel-U-Boote, Raketenschiffe und Küstenverteidigungs-systeme, kommen aus russischer oder sowjetischer Produktion. 40 Prozent der militärischen Ausrüstung der indischen Armee wurden in Russland produziert oder unter russischer Lizenz in indischen Unternehmen zusammengebaut. In der Luftfahrt beträgt dieser Anteil 80 Prozent, in der Marine 75 Prozent. Trotzdem ist es nicht angebracht, von einem russischen Monopol in der militärtechnischen Zusammenarbeit mit Indien zu sprechen. Neu-Delhi erwirbt auch Waffen in anderen Ländern, vor allem in den USA, Frankreich und Israel.

Putins aktueller Besuch bei seinem „Freund" Modi soll genau diesen Trend zur "Western Fashion" in Indien brechen. Heute werden russische Waffen aktiv von Indien, Algerien, Vietnam, China, Iran, Irak, Weißrussland, Kasachstan, Bangladesch und Nicaragua gekauft. Das sind die zehn regelmäßigsten Käufer. Indien steht in dieser Liste an der Spitze, auch aufgrund der aktuellen Abkommen über Sturmgewehre AK-203 und S-400-Komplexe. Und das soll auch so bleiben.

 

(Quelle: Sokirko, V., Swobodnaja Pressa, 7. 12.21, redaktionell bearbeitete Übersetzung)

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